Bericht: Mein Freiwilliges Soziales Jahr im Jungenhaus


Im Frühsommer 2020 war es perspektivlos um mich. Eine Ausbildung abgebrochen, Monate lang in verschiedenen Produktionsfirmen am Fließband gearbeitet, danach monatelang arbeitslos durch die gerade angefangene Covid-19 Pandemie und mit den Bewerbungen auf den Ausbildungsberuf Fachinformatiker in Anwendungsentwicklung, die im Sommer 2020 starten sollte, war ich auch nicht zu frieden. 

Ich war unzufrieden und unglücklich. Um dem Ganzen zu entrinnen und mir die Last von den Schultern zu nehmen, mich jetzt schon entscheiden zu müssen, was ich mein restliches Leben arbeiten würde, entschied ich mich letztendlich für ein Freiwilliges Soziales Jahr. Ich hatte kein Plan was, wo und welche Richtung es gehen sollte. Also recherchierte ich im Internet. Ich las mich ein über Kindergärten, Schulen, Krankenhäuer und letztlich auch über Wohngruppen. Somit stieß ich auf die Seite der GeSo Jugendhilfe. Ich guckte mir die verschiedenen Gruppen und deren Schwerpunkte an und überlegte, mit welcher ich mich am besten identifizieren könnte.

Speziell eine Wohngruppe fiel mir ins Auge. Die Jungenwohngruppe „Jungenhaus“. Die Jungs, die dort untergebracht waren, sind alle 13 Jahre oder älter, was auch schon mehr meinen Vorstellungen entsprach, als z.B. das „Kinderhaus Karibu“. Also schrieb ich eine Bewerbung und nach kürzester Zeit hatte ich bereits einen Termin zum Vorstellungsgespräch. Als ich mich dann mit der Hausleitung (Herr Westenfelder) traf, wurde ich immer interessierter, wie die Arbeit in diesem Berufsfeld doch aussehen wird.

Aber es kamen nicht nur Freude sondern auch Ängste auf. Ob ich mich nicht übernehmen werde mit solch einer Herausforderung? Schließlich hatte ich zu diesem Zeitpunkt keinen bis wenig Kontaktpunkte mit sozial- und verhaltensauffälligen Jugendlichen. Oder was ist, wenn ich Schwierigkeiten bekomme und mir das Ganze kein Spaß machen wird? Im Nachhinein weiß ich, dass das ganz normale Gedanken sind, die vermutlich jeder hat und die vermutlich auch wichtig sind für eine kritische Auseinandersetzung mit dem, was man vor sich hat und wie man damit umgeht. 

Am 01.09.2020 begann es dann. Ich führ aufgeregt und voller Vorfreude nach Trier-Ruwer. Ich startete um 9 Uhr, sodass ich ausgeschlafen und fit dort auftauchen konnte. Ich wurde nett und freundlich von der diensthabenden Betreuerin empfangen. Da zu der Zeit sich die meisten Jungs in der Schule oder Ausbildung befanden, war das Haus so gut wie leer und ich wurde herumgeführt. Ich war überrascht, welche Möglichkeiten die Jungs in ihrer Freizeitgestaltung hatten. Ein Computerraum mit sieben PCs, einem Trainingsraum mit allen möglichen Geräten, einem schönen alten Holz-Kickertisch, der den Flur zum Büro verzierte und natürlich dem Highlight dem Medienraum. In dem gab es zwei große Couches, einen Beamer, der auf eine weiße Wand in dem Raum leuchtete und eine PS4.

Nachdem mir alle Räume gezeigt wurden, lernte ich auch meine zukünftige Küchenchefin Petra kennen. Petra ist die Hauswirtschaftskraft im „Jungenhaus“. Sie kümmert sich darum, dass alle Jungs abends ihr Essen auf dem Tisch haben und hilft auch bei der Sauberhaltung des Hauses. Wie man sich vorstellen kann, ist das, wenn so viele männliche Jugendliche in einem Haus leben, herausfordernd. Um so froher war sie, als ich als Helfer dazukam.

Sie erklärte mir, dass es ab sofort eine meiner Aufgaben ist, die wöchentlich anfallenden Einkäufe zu erledigen. Bei den ersten Touren fuhr Petra noch mit, zeigte mir, wo ich was bekam und lernte mich in die Kunst des schnellen Einkaufens und des darauffolgenden Tetris-Spielens im Auto ein. Da es öfters vorkam, dass ein Einkaufswagen nicht reichte, holte ich mir einen Jugendlichen zur Hilfe. Es war schön zu sehen und zu merken, wie viel Spaß die Jugendlichen mit einem hatten bei solch Banalitäten des Alltages.

Andere Aufgaben meines FSJ waren z.B. Arzttermine oder auch anderweitige Termine zusammen mit den Jugendlichen wahrnehmen. Außerdem half ich den Jugendlichen auch in der sogenannten „Hausaufgabenzeit“, die jeden Tag nach der Schule stattgefunden hat und den Schülern und Auszubildenen dazu dienen sollte, alles rund um Schule zu erledigen. Sonst fielen auch viele strukturelle Aufgaben an, wie z.B. der Zimmer Check-Up, oder das Herausgeben von Essen, aber auch gerne mal das Spielen von Spielen gegen Jugendliche auf der Playstation oder ein Match im Tischkickern. Allgemein gefasst würde ich es unter dem Begriff des „Allrounders“ beschreiben, kein Tag war wie der andere, es blieb immer spannend. Je länger ich dort war, umso mehr wurden mir Aufgaben mit mehr Verantwortung anvertraut und irgendwann konnte ich meinen Tag selbst einteilen.

Nach und nach wuchs ich immer mehr, an dem was ich gemacht habe und vor allem wie ich es gemacht habe. Mir wurde mehr und mehr Vertrauen geschenkt, von den Jugendlichen sowie auch von den anderen Mitarbeiter:innen. Ich bin dem Team dafür auch zutiefst dankbar. Sie waren stets daran interessiert, mich zu fördern und auch von Anfang an eine positive Arbeitsumgebung zu stellen. Wenn Unsicherheiten, Unklarheiten oder Fragen aufkamen, hatte ich immer die Möglichkeit jemand zu fragen. Außerdem, was ich mit am schönsten fand, ist die Akzeptanz, als „Vollwertiger“ Mitarbeiter gesehen zu werden. Ich hatte durch die Seminare oft Kontakt zu anderen FSJler:innen, die mir erzählt haben, sie würden ausgenutzt oder als billige Arbeitskraft für die eher niedrigschwelligen Aufgaben gesehen werden. Klar fallen mal Aufgaben an, wo man sich denkt: „Muss das jetzt sein“, aber letztendlich hatte ich nie nur ansatzweise das Gefühl gehabt, ausgenutzt zu werden. Ich wurde in das Team miteinbezogen und auch mal nach meiner Meinung gefragt und vor allem habe ich mich wohl gefühlt. 

Im Laufe des Freiwilligen Sozialen Jahres habe ich gemerkt, dass ich das, was ich dort mache, gut kann und endlich den Bereich gefunden habe, in dem ich mir vorstellen könnte, auch noch in 20 Jahren zu Arbeiten. Ich hatte geplant, nach dem FSJ in die Nähe von Göttingen zu ziehen und dort mein Studium der Sozialen Arbeit zu absolvieren. Aber ich entscheid mich dagegen, nachdem mir mein Chef die Möglichkeit bot, weiter in der GeSo Jugendhilfe tätig zu sein. Da die Arbeit mit dem Team und den Jugendlichen so viel Spaß bereitete, entschied ich mich für ein Fernstudium und bin jetzt als Werkstudent, in der Hoffnung mich längerfristig an das Unternehmen zu binden, eingestellt.

Das FSJ hat mir geholfen selbstbewusster, selbstsicherer und wieder perspektivsvoller in die Zukunft zu schauen. Ich empfehle jedem, der sich noch nicht sicher ist, eins zu absolvieren. 

Nick S., September 2021